Ein Halbleiter-Ökosystem, das die Prinzipien der offenen, kollaborativen Softwareentwicklung auf die Hardware anwendet. Warum ist das interessant und wichtig für uns als Gesellschaft? Alexander Stanitzki, Leiter Industry am Fraunhofer IMS, und sein Team forschen an Open Source Halbleiter-Lösungen für verschiedenste Anwendungsfälle der Industrie, und nehmen so auch an einer möglichen Revolution in der Mikroelektronikentwicklung teil. »Durch geschlossene Hardware-Systeme gibt es oft Hürden im Forschungs- und Entwicklungsbereich gute, nachhaltige Ideen flächendeckend umzusetzen.«, erläutert Alexander Stanitzki. Welche Lösungen und Projekte Barrieren abbauen können, erfahren Sie nachfolgend im Feature.
Ein offenes Ökosystem mithilfe von RISC-V, Kompetenznetzwerken und hochwertiger Nachwuchsausbildung
Linux als wohl erfolgreichstes Beispiel für Open Source-Entwicklungen und die Investitionen von Tech-Unternehmen wie Google in Open Source Chipdesign-Werkzeuge, deuten an, welche Potenziale hier schlummern.
»Da Fachkräfte in der Softwareentwicklung an ihr System gebunden sind und so gute Lösungen oft aufwendig für andere Hardware abgeändert werden müssen, erhöhen sich oft Kosten und Energieaufwand. Diese Systemabhängigkeit gilt es durch Open Source-Lösungen auch im IC-Design oder für RISC-V aufzulösen, um ein offenes Ökosystem zu gestalten, in dem wir Industrielösungen klimafreundlich und für die Nutzenden sicher entwickeln können.«, erklärt Alexander Stanitzki. Das Fraunhofer IMS engagiert sich in diesem Zusammenhang ebenfalls für den Ausbau eines RISC-V-Ökosystems in Deutschland und Europa. Dafür hat das Institut im vergangenen Jahr mit der ASPECT-Studie[1] im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ein europäisches Modell für ein RISC-V-Ökosystem entwickelt, in dem Open Source-Lösungen einen großen Stellenwert einnehmen.
Darüber hinaus wurden durch CHIPS.NRW und die Mikroelektronik Akademie der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD), zu der auch das Fraunhofer IMS gehört, Kooperationsplattformen und Aus- und Weiterbildungsstätten geschaffen. Beide Netzwerke wollen hochwertige Ausbildungen anbieten und eine Austauschplattform für Start-ups, Wissenschaft und Industrie etablieren, um Chip Design »Made in Germany« auf Basis von Open Source Halbleitern groß zu machen.
Neben dem Aufbau von Konsortien und der Durchführung von Studien, entwickelt das Fraunhofer IMS bereits eigene Lösungen, die Open Source und somit flexibel anpassbar sind. Die wichtigsten lernen Sie nachfolgend kennen.
Open Source RISC-V-Prozessoren mit KI-Erweiterung (AIRISC)
Das Fraunhofer IMS hat bereits eine breite Palette von eingebetteten KI-Anwendungen mit dem flexibel konfigurierbaren und anpassbaren RISC-V-Prozessorsystem AIRISC entwickelt und bietet nachhaltige Lösungen für vielseitige Anwendungen in Industrie, Medizin, Mobilität und Sicherheit an. Anwendungsfelder können zum Beispiel intelligente Pflaster und Wearables zur Überwachung von Vitalparametern, Stromwandler, vorausschauende Wartung von Maschinen, KI-gestützte Vorverarbeitung von LiDAR-Daten oder Flugregler von Drohnen oder ähnlichen Flugobjekten sein. AIRISC ist Open Source auf GitHub verfügbar.
IC-Designs auf Basis offener Technologien und Add-on Sensoren für CMOS-Schaltungen
Die IC-Designs auf Basis offener Technologien eignen sich perfekt für industrielle und medizinische Sensoren, IoT sowie Wearables und bieten eine optimale Leistung durch domänenspezifische und energieeffiziente Designs basierend auf Open Source-Hardware. Das Template-basierte und schnelle System-on-Chip-Design sorgt für eine bestmögliche Leistung pro Watt, wodurch eine deutliche Reduzierung der Entwicklungszeit und der Fixkosten erreicht wird.
Mit Add-on Sensoren für CMOS-Schaltungen schafft das Fraunhofer IMS Integrationen von Sensoren in jede Art von Chips, selbst aus externer Fertigung. Die Basis dafür sind IP-Zellen für unsere Post-CMOS-SPADs, Mikrobolometer, Drucksensoren und Gassensoren in gängigen Open Source-PDKs. Anwendungsfelder können damit integrierte Drucksensoren, LiDAR-Detektoren, ungekühlte IRFPAS, miniaturisierte sowie intelligente Gassensoren sein.
Das Fraunhofer IMS zeigt durch seine offenen Technologien, wie wandlungsfähig und anpassbar Sensorik sein kann – und dabei sind die Lösungen sogar noch kompakt, energieeffizient und erhöhen die Sicherheit in der Anwendung. Zwei Beispiele lernen Sie nachfolgend kennen. Mit den Projekten GaNext und PowerCare verfolgt das Fraunhofer IMS durch zwei unterschiedliche Ansätze im Bereich der Leistungselektronik das Ziel, diese nicht nur angenehmer und sicherer in der Anwendung zu gestalten, sondern auch noch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.
Kompaktere, effizientere und ausfallsicherere Module für Zukunftstechnologien und regenerative Energien durch Galliumnitrid (GaN), KI und RISC-V
Bei GaNext wird ein intelligentes Leistungsmodul auf Basis von Galliumnitrid-Halbleitern entwickelt, das mit Gate-Treibern und einer programmierbaren, ausfallsicheren Steuereinheit mit integrierten Schutzschaltungen kombiniert wird. Im Bereich der regenerativen Energien kann damit zum Beispiel bei der Spannungswandlung und Einspeisung von Energie aus Photovoltaik und Windkraft aufgrund eines effizienteren Leistungselektroniksystems ein enormes Einsparpotenzial im Gesamtsystem erzielt werden.
Im Projekt PowerCare implementiert ein neues Überwachungskonzept in Form eines miniaturisierten Motorcontrollers mit integrierter Echtzeit-Ausfallvorhersage und legt damit den Grundstein für eine neue Evolutionsstufe intelligenter Leistungsmodule. Zu diesem Zweck werden KI-basierte Vorhersagemodelle auf einem domänenspezifischen RISC-V-Steuerungs-SoC implementiert und mit hocheffizienten GaN-Leistungstransistoren zu einem Leistungsmodul kombiniert. Diese Leistungsmodule können zum Beispiel Zukunftstechnologien wie Drohnen, Elektroflugzeuge oder kollaborative medizinische Roboter kompakt, zuverlässig und nachhaltig unterstützen. Das Fraunhofer IMS bringt mit AIRISC sein Know-how aus dem RISC-V-Bereich ein.
Die Möglichkeiten von Open Source Halbleiter-Lösungen erscheinen schier unbegrenzt. »Dennoch stehen wir noch ganz am Anfang.«, schlussfolgert Alexander Stanitzki. »Wir müssen unsere Aktivitäten im sich bildenden Ökosystem laufend erproben, weiterentwickeln und in die Praxis bringen, sodass der offene Ansatz für alle als Vorteil genutzt werden kann – in der lokalen und europäischen Industrie, wie auch in der Wissenschaft. Am Fraunhofer IMS setzen wir uns im Geschäftsfeld Industry stark dafür ein, dass diese Vision Wirklichkeit werden kann.«
[1] Die ASPECT-Studie wurde mit Mitteln des BMBF unter dem Förderkennzeichen 16ME0656K gefördert.