Startschuss für die nächste Generation der Nanosystemtechnik

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Das Ziel ist klar definiert: Im Projekt »FunALD« soll eine neue Klasse ultradünner funktionaler Materialien auf Basis der ALD-Technologie entwickelt werden. Das hochkarätige Partnerkonsortium ermöglicht damit der Mikro- und Nanosensorik ein breites, zukunftsfähiges Entwicklungsfeld für eine Vielzahl von innovativen und intelligenten Sensoren zu erschließen. 

In der Automobilbranche etwa detektieren sie Diesel- und Benzinabgase in der Außenluft und verhindern das Eindringen dieser Schadstoffe in den Fahrzeuginnenraum. In der Lebensmittelproduktion überwachen sie die Ammoniak-Konzentration in Kälteanlagen und in Fabrikhallen kontrollieren sie zum Beispiel das Austreten von Methan aus dem Leitungsnetz: Luftgütesensoren sowie Sensoren in Mess-Systemen erfassen toxische und explosive Gase und warnen vor dem Austreten gefährlicher Schadstoffe.
Heutige Sensoren weisen jedoch für viele Anwendungen eine vergleichsweise geringe Sensitivität und eine große Querempfindlichkeit bei gleichzeitig hohem Stromverbrauch und hohen Kosten auf. Im Rahmen des Leitmarktwettbewerbs »NeueWerkstoffe.NRW« der Landesregierung Nordrhein-Westfalen startete jetzt unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS das Projekt »Funktionale ultradünne Werkstoffe durch Atomlagenabscheidung für die nächste Generation der Nanosystemtechnik« (kurz »FunALD«). Während der dreijährigen Projektdauer soll eine neue Klasse von ultradünnen funktionalen Materialien auf Basis der ALD-Technologie für mechanische Sensoren und Gas-Sensorik entwickelt werden. Das hochkarätige Partnerkonsortium setzt sich neben dem Fraunhofer IMS aus dem Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. (IUTA), der Ruhr-Universität Bochum (RUB) sowie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der ExTox Gasmess-Systeme GmbH zusammen. Als assoziierte Partner wirken zudem der Automobilzulieferer paragon AG und Aixtron SE, ein führender Hersteller von Abscheideanlagen für die Halbleiterindustrie, mit. Das Vorhaben wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert und durch den Projektträger Jülich betreut.

Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts

In der modernen Mikrosystemtechnik dienen CMOS-Wafer als »intelligente« Substrate, die mit analogen und digitalen Ansteuer-, Auslese- oder Schnittstellenschaltungen versehen sind. Sind sehr kleine Systeme gefragt oder müssen kleine Signale über möglichst kurze Wege ausgelesen werden, können direkt auf dem CMOS durch Post-Integration Schichten, Strukturen und Bauelemente integriert  werden. So entstehen kompakte, clevere Single-Chip-Mikrosysteme, die in Zeiten von Industrie 4.0 und Internet der Dinge (IoT) vielfältig einsetzbar sind. Die Mikrosystemtechnik ist daher eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Produkte mit mikrosystemtechnischen Komponenten erobern immer mehr Anwendungsbereiche des täglichen Lebens und sind in ihren Potentialen hinsichtlich Funktionalität und Wirtschaftlichkeit aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Neue Anwendungsfelder entstehen derzeit verstärkt im Nanometer-Bereich.
Bisher entwickelten die Forscher am Fraunhofer IMS im Rahmen der Nano- und Mikrosystemtechnik beispielsweise metallische Elektroden zur Zellkontaktierung und Signalableitung von Nervenzellen mit einem neuartigen Templat-Verfahren, das die wohldefinierten Methoden der CMOS-Prozesstechnologie nutzt. Etablierte Nano-Techniken nutzen dagegen Nanopartikel oder Nanodrähte, die bei hohen Temperaturen getrennt vom Substrat prozessiert werden. Anschließend werden diese Partikel in Flüssigkeiten suspendiert und auf Elektroden aufgetragen – die Elektroden sind auf den CMOS-Oberflächen angeordnet. Die etablierten Nano-Techniken liefern aber nur ungeordnete Strukturen; außerdem gibt es Probleme bei der Reproduzierbarkeit der Herstellung.

Neues ALD-Verfahren überzeugt dreifach

 »FunALD« geht daher jetzt einen wesentlichen Schritt weiter: Die Nano-Elektroden werden nicht durch Auftragen von Nanopartikeln, sondern auf Basis des ALD-Verfahrens (Atomic Layer Deposition) hergestellt. Dabei werden ultradünne Einfach- und Mehrfachschichten mit einer Schichtdicke von weniger als 50 Nanometern Atomlage für Atomlage abgeschieden. Im Vorhaben werden funktionale ALD-Schichtstapel entwickelt, die sich mit einem besonders einfachen Post-CMOS-Verfahren auf intelligente Schaltkreise integrieren lassen und dabei freitragende 3D-Bauelemente auf CMOS-Schaltungen erzeugen. Mit nur drei zusätzlichen lithographischen Masken lassen sich bereits komplexe Sensor- oder Aktor-Strukturen realisieren. Diese ALD-Materialien erlauben zukünftig ein sehr breites Anwendungsfeld, so können z. B. ultrasensitive freitragende Nanodrähte aus einem Metalloxid für die Gas- oder Bio-Sensorik genutzt werden. Die freitragenden 3D-Mikro- oder Nanostrukturen werden durch hochkonforme, ultradünne ALD-Schichten mithilfe einer einfachen Opfertechnik erzeugt. Dabei wird auf einem CMOS-Substrat die Opferschicht – eine Art Schutzschicht und Abstandhalter für das darunterliegende Material – abgetragen. Das daraus entstehende amorphe Silizium kann besonders gut strukturiert werden: Das ist der große Vorteil des neuen Verfahrens!
Bei der Fertigung wird die ALD-Schicht in die winzigen Löcher des Substrats abgeschieden, die freitragenden Nanodrähte werden dann auf die Metalloxid-Halbleiter-Schaltungen gesetzt und die erwünschten Gas-Sensoren entstehen.
Das neue ALD-Verfahren überzeugt sogleich in dreifacher Hinsicht: Zum einen lässt sich durch die große Materialdiversität eine Vielzahl von neuartigen sensorischen oder aktorischen Bauelementen auf den CMOS-Oberflächen realisieren. Zum anderen ist das Verfahren problemlos mit den bereits vorhandenen apparativen Möglichkeiten eines typischen CMOS- bzw. Mikrosystem-Reinraums kompatibel. Durch den extrem vereinfachten Fertigungsprozess können darüber hinaus auch erheblich Kosten eingespart werden.
Um die neuen Materialklassen vor dem Einzug in die industrielle Verwertung ausreichend testen zu können, sieht das Projekt die Entwicklung zweier Demonstratoren vor. Der erste Demonstrator ist eine freistehende metalloxidische Struktur, die in einer Gas-Sensoranwendung als konduktometrisches Sensorelement dient. Der zweite Demonstrator, der im Projekt danach entwickelt wird, besteht aus freitragenden metallischen ALD-Membranen, die für einen mechanischen Resonator genutzt werden. 
»Die im Projekt „FunALD“ untersuchten freistehenden ALD-Nanostrukturen versprechen eine hohe Empfindlichkeit und eine kurze Ansprechzeit der neuen Gas-Sensoren. Durch die Möglichkeit sie direkt auf die CMOS-Schaltung zu integrieren, lässt sich eine neue Generation von intelligenten kostengünstigen Sensoren realisieren. Durch die regionale Kooperation mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen ist ein starkes Konsortium entstanden, das die neue Materialentwicklung effektiv  voranbringt«, fasst Dr. Andreas Goehlich, Projektleiter und Abteilungsleiter am Fraunhofer IMS, die Vorteile von »FunALD« zusammen. Das Duisburger Forschungsinstitut ist im Projekt für die Mikrosystemtechnik und die Bereitstellung der notwendigen Hardware zuständig.
Das ebenfalls in Duisburg ansässige IUTA bringt sich mit seiner Kompetenz auf dem Gebiet der Referenzanalytik im Spurenkonzentrationsbereich und anwendungsorientierten Testung von Gas- und Partikelsensoren in das Projekt ein, während die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf aufgrund ihrer Expertise in Materialanalyse und Oberflächenanalytik die Grundlagen der Gas-Sensorik erforscht.

Sieger im EFRE-Landeswettbewerb

 Im steten Austausch mit dem Fraunhofer IMS steht während der Projektlaufzeit die Ruhr-Universität Bochum, die mit der Entwicklung der Precursor die Ausgangsmaterialien bereitstellt.
»Mit unserer Precursor-Forschung legen wir in der Arbeitsgruppe „Chemie Anorganischer Materialien“ an der Ruhr-Universität Bochum den Grundstein für alle ALD-Abscheidungen. Unsere langjährige Erfahrung in der Entwicklung neuer metallorganischer Komplexe hilft uns hierbei in Zusammenarbeit mit den Partnern dieses Projekts zielgerichtet, hochspezialisierte Precursor für die Anwendung in ALD-Prozessen herzustellen«, so Prof. Dr. Anjana Devi von der Ruhr-Universität Bochum. »Am Fraunhofer IMS werden unsere Precursoren für die Abscheidung dreidimensionaler Teststrukturen verwendet, die dann als industrielle Gas-Sensoren getestet werden. Es ist toll, Teil der Kette vom Precursor bis zum fertigen Sensor zu sein.«
»Vernetzte Sensoren und Detektoren sind eine der Grundvoraussetzungen für neue innovative IT-basierte Prozessanalysen und -steuerungskonzepte sowie für maßgeschneiderte Dienstleistungen, die wir zusammen mit unseren FuE-Partnern entwickeln. Die neue Generation von miniaturisierten Sensoren ermöglicht beispielsweise die online Spurenanalytik von gasförmigen Substanzen im ppb-Bereich und ist Grundlage für Anwendungen im Bereich von Gaswarngeräten oder Detektion von Filterdurchbrüchen als Signalgeber für den bedarfsgerechten Filterwechsel«, so Dipl. Chemiker Hartmut Finger, Projektleiter im Bereich Luftreinhaltung und Filtration im IUTA. »Mit „FunALD“ kann IUTA seine Kompetenzen auf dem Gebiet der Gas- und Aerosolmesstechnik beyond state of the art erweitern, ein wichtiges Momentum, um die im IUTA-Netzwerk engagierten Unternehmen mit neuen Impulsen für innovative Anwendungen zu unterstützen.«
Der Spezialist für Gaswarngeräte, die ExTox Gasmess-Systeme GmbH aus Unna, appliziert testweise die Sensoren in den Geräten. Nach dieser Phase geht es mit den neuen Sensoren in den Feldtest: Der Automobilhersteller Paragon AG prüft die Luftgütesensoren direkt im Fahrzeug auf ihre Praxistauglichkeit.
Als Hersteller von MOCVD-Anlagen betreut die AIXTRON SE aus Herzogenrath während des Projekts die Anlagen. Prof. Dr. Heuken von AIXTRON sieht das Potential der neuen Klasse ultradünner Werkstoffe als klar gegeben und erläutert die Beweggründe zur Teilnahme an »FunALD«: »Neue Materialien und innovative Abscheidemethoden erlangen in der Mikroelektronik und Sensorik immer mehr Bedeutung. Für uns als Anlagenbauer erlangt das Verständnis dieser Themen immer mehr an Bedeutung, um am Weltmarkt unsere Maschinen verkaufen zu können. Die Teilnahme an Projekten wie „FunALD“ leistet dabei einen wichtigen Beitrag und stärkt damit unsere Marktposition.«
Dass das Projekt als Basis zur Etablierung einer neuen Generation effizienter, kompakter und intelligenter Sensorik gesehen wird, bestätigt auch der Gewinn im EFRE-Landeswettbewerb »Neue Werkstoffe«. Durch eine spätere Anwendung der ALD-Materialien für intelligente Mikro- und Nanosensoren ist eine Vielzahl neuer Applikationen möglich. So können zum Beispiel neue Themen an Instituten und Universitäten verankert werden. Durch die anwendungsnahe Vorentwicklung und Bereitstellung aller relevanter Werkstoffe kann zudem unmittelbar im Anschluss an das Projekt mit der industriellen Entwicklung gestartet werden. Miniaturisierte, clevere Sensoren als Grundlage künftiger Nano- und Mikrosystemtechnik stärken somit nicht nur Industrie und Wissenschaft, sondern auch den Technologiestandort NRW.  

 

 

Fraunhofer IMS

Seit 30 Jahren beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Fraunhofer IMS in Duisburg mit der Entwicklung von mikroelektronischen Schaltungen, elektronischen Systemen, Mikrosystemen und Sensoren. Aufgrund seines umfangreichen Know-hows, dem Zugang zur Technologie und den hochwertigen Entwicklungsleistungen ist das Institut weltweit ein anerkannter Partner für die Industrie. In acht Geschäftsfeldern widmet sich das Fraunhofer IMS der angewandten Forschung, der Vorentwicklung für Produkte und deren Anwendungen. Stabile, effiziente und marktfähige Technologien und Verfahren, die in extrem vielen Branchen zum Einsatz kommen, stehen dabei im Mittelpunkt der Auftragsarbeiten.

www.ims.fraunhofer.de

 

 

Dieses Vorhaben wird durch die Europäische Union und das Land Nordrhein-Westfalen gefördert.